Investitionen in frühkindliche Bildung wichtiger als in jeder anderen Entwicklungsphase
1Frühkindliche Bildungs- und Betreuungsmaßnahmen tragen entscheidend zur späteren Entwicklung und dem Bildungserfolg von Kindern bei. Das gilt aber nur, wenn diese Maßnahmen auch einen qualitativ hohen Standard aufweisen.
So lautet das Fazit des neuen Berichts des Networks of Experts in Social Sciences of Education and Training, NSSE, der von der EU-Kommission veröffentlich wurde.
Der gesamte Bericht kann hier gelesen werden.
Dieser Bericht fasst internationale Erkenntnisse über die gesellschaftlichen Vorteile frühkindlicher Bildung und Betreuung zusammen.
Er bietet einen analytischen Überblick über die verschiedenen Ansätze, die der Entwicklung frühkindlicher Bildungs- und Betreuungs-maßnahmen zugrunde liegen. Der Bericht fasst durchgeführte Forschungserkenntnisse zusammen und unterstreicht politische Erkenntnisse und Maßnahmen, die offensichtlich erfolgreich zur Entwicklung und Umsetzung einer Strategie zur frühkindlichen Bildung und Betreuung beitragen.
Die wichtigsten Erkenntnisse sind:
* Es gibt viele miteinander konkurrierende, sich überschneidende und überlappende Argumente, die die Entwicklung einer Politik zur frühkindlichen Bildung und Entwicklung antreiben. Nicht alle sind miteinander kompatibel.
* Weltweit ist die EU führend im Bereich der Angebote zur frühkindlichen Bildung und Entwicklung, doch es gibt noch viel zu tun. Hierzu zählt insbesondere die Überprüfung der Barcelona Ziele, die die frühkindliche Bildung und Betreuung als einen Aspekt der Teilnahme der Frauen am Erwerbsleben ansehen und nicht als eigenständiges Angebot, das Bildung und Betreuung miteinander vereint. Hierzu ist ein breiterer Ansatz notwendig.
* Wirtschaftlich gesehen sind Investitionen in die frühkindliche Bildung und Betreuung gewinnbringender als Investitionen in jede andere Entwicklungsphase, selbst wenn die Auswirkungen und die Kontinuität der Maßnahmen für die spätere schulische Ausbildung stark schwanken können.
* Frühkindliche Bildungs- und Betreuungsmaßnahmen können zu einem langfristigen wirt-schaftlichen Wohlergehen beitragen, auch wenn diese Annahme möglicherweise überzogen ist und nicht isoliert von anderen gesellschaftlichen Faktoren betrachtet werden darf.
* Qualitativ hochwertige frühkindliche Bildung und Betreuung liefert eine solide Grundlage für ein effizienteres Lernverhalten in der Zukunft, die Leistung und die soziale Entwicklung der Kinder, selbst wenn theoretische Konzepte der eingebrachten Prozesse unterschiedlich sein können. Qualitativ hochwertige frühkindliche Bildung und Betreuung kommt allen Kindern zugute und schafft eine solide soziale Grundlage für den Schuleintritt, insbesondere für Kinder aus armen Verhältnissen oder Familien mit Migrationshintergrund.
* Frühkindliche Bildungs- und Betreuungsmaßnahmen können die Leistung der Kinder in der Schule und ihre weitere Entwicklung nur verbessern, wenn sie qualitativ einen hohen Standard aufweisen. Qualitativ minderwertige Angebote können möglicherweise mehr Schaden anrichten als Nutzen, insbesondere für Kinder aus ärmeren Verhältnissen.
* Frühkindliche Bildungs- und Betreuungsmaßnahmen rein auf arme und schutzbedürftige Kinder auszurichten, ist problematisch: Ein derartiges Vorgehen führt dazu, dass nichts gegen die Ausgrenzung und Stigmatisierung unternommen wird und die Maßnahmen somit noch ineffizienter sind als von den drei führenden Studien auf diesem Gebiet in den USA vermutet wird. Umfassende und allgemeine Angebote scheinen eine passendere Lösung zu sein.
* Private, gewinnorientierte Angebote für die frühkindliche Bildung und Betreuung sind sehr unterschiedlich. Es zeigt sich aber, dass diese in allen Ländern, in denen Untersuchungen hierzu stattgefunden haben, die schlechteste Qualität aufweisen. Private, gewinnorientierte Einrichtungen könnten zu einer Verschärfung des gesellschaftlichen Klassensystems führen.
* Es besteht kein eindeutiger Zusammenhang zwischen Geburtenrate und frühkindlichen Bildungs- und Betreuungsmaßnahmen sowie anderen Angeboten, die die Vereinbarkeit von Familie und Beruf fördern. Doch es gibt einen Zusammenhang zwischen dem Wohl von Mutter und Kind und dem Angebot an derartigen Maßnahmen und Hilfen. Schritte hin zu einer familienfreundlicheren Politik haben positive Auswirkungen auf die Geburtenrate und die Selbständigkeit der Frau gehabt.
* Die Teilnahme der Mütter am Erwerbsleben kann durch die Bereitstellung guter frühkindlicher Bildungs- und Betreuungsmaßnahmen erhöht werden. Weiter wird die Erwerbstätigkeit von Müttern aber durch ein umfangreiches Unterstützungsangebot, das darauf abzielt Arbeit und Familie miteinander zu vereinbaren – einschließlich Elternzeit und flexibler Arbeitszeiten – erhöht. Darüber hinaus trägt es zum Wohlergehen von Mutter und Kind bei.
* Frühkindliche Bildungs- und Betreuungsmaßnahmen können Mütter, die sich in schwierigen Lebenssituationen befinden, sowie berufstätige Mütter unterstützen, indem sie die Arbeitsstunden berücksichtigen, die Mütter im Büro und Zuhause leisten und ihre Rechte hinsichtlich der frühkindlichen Bildungs- und Betreuungsmaßnahmen anerkennen: Ihr Recht, informiert zu werden, Stellung nehmen zu dürfen und in wichtige Entscheidungen, die ihr Kind betreffen, eingebunden zu werden, was einen Aspekt einer lebendigen Beteiligung darstellt.
* Statt Betreuungsmaßnahmen für die Kleinsten anzubieten, kann es im Interesse des Kindes und der Mutter besser sein, Erziehungszeiten für Mütter und Väter zu ermöglichen, die das erste Lebensjahr des Kindes abdecken.
* Jüngste Erkenntnisse über die Rechte kleiner Kinder führen zu bedeutenden Veränderungen in der Konzeption und Umsetzung frühkindlicher Bildungs- und Betreuungsmaßnahmen. Ein Ansatz mit dem Fokus auf den Rechten kleiner Kinder konzentriert seine Bemühungen auf die Erfahrungen von Kindern im Hier und Jetzt und bindet sie aktiv ein. Frühkindliche Maßnahmen zielen nicht darauf ab, die Zukunft der Kinder vorzugeben, sondern sie mit ihnen gemeinsam zu gestalten.
* Kinderarmut und Schutzbedürftigkeit von Kindern haben viele Gründe und haben ernsthafte Auswirkungen auf das Wohlbefinden und die schulische Leistung der Kinder. Umverteilungsmaßnahmen zur Bekämpfung von Kinderarmut waren in vielen Ländern kosteneffizient. Diese Maßnahmen könnten auf alle Länder ausgeweitet werden. Frühkindliche Betreuungs- und Bildungsmaßnahmen, die in jedem Fall gut sind, können Armut und sozioökonomische Nachteile in den Familien nur minimal kompensieren.
* Qualitätsdefinitionen und Strategien zur Gewährleistung dieser variieren in den einzelnen Ländern erheblich. An der Definition, der Bewertung und dem Vergleich der Qualität der frühkindlichen Betreuungs- und Bewertungsmaßnahmen muss weiter gearbeitet werden.
* Eine gute Ausbildung und Bezahlung, ebenso wie gute Arbeitsbedingungen der Betreuer und Lehrer und die Unterstützung, die diese erhalten, sind Schlüsselfaktoren für die Gewährleistung der Qualität der frühkindlichen Betreuungs- und Bildungsmaßnahmen. Weitere Schlüsselfaktoren beinhalten: Inhalt/Curriculum, einschließlich Inklusion, Respektieren der Vielfalt und Persönlichkeit; das Verhältnis von Kindern pro Betreuer/Lehrer; Gruppengröße und Räumlichkeiten; die Einbeziehung der Eltern und der breiteren Öffentlichkeit, die Koordinationsstrukturen, die für eine regelmäßige Programmüberwachung und -bewertung notwendig sind; Systemverantwortung und Qualitätsgewährleistung.
* Frühkindliche Betreuung und Bildung ist ein komplexes Thema, das traditionelle bürokratische Grenzen überschreitet. Ein koordiniertes politisches Handeln ist notwendig und es sollte in viele Programme investiert werden, die Einfluss auf das Leben kleiner Kinder haben.
* Ein systematischer und einheitlicher Ansatz zur frühkindlichen Bildung und Betreuung ist notwendig, um Maßnahmen systematisch zu entwickeln und zu verbessern – aufeinander abgestimmtes politisches Handeln, die Ernennung eines verantwortlichen Ministeriums, die Koordination zentraler und dezentraler Einheiten, ein kollaborativer und auf Mitbestimmung ausgerichteter Ansatz für Reformen, Vernetzung der einzelnen Maßnahmen usw.
* Konzeption und Umsetzung von frühkindlichen Bildungs- und Betreuungsmaßnahmen bedürfen einer regelmäßigen Überprüfung und Aktualisierung. Eine wichtige Heraus-forderung in diesem Zusammenhang ist die Identifizierung von den Mechanismen, die Veränderung vorantreiben können.
* Trotz einiger solider Erkenntnisse aus einzelnen Studien über die Entwicklung von Kindern gibt es keinen eindeutigen empirischen Datenstock über kleine Kinder, die als Grundlage für die Entwicklung und Umsetzung einer Politik zur frühkindlichen Bildung und Betreuung in Europa herangezogen werden können. Erkenntnisse aus dem Bereich der kindlichen Entwicklung müssen umsichtig in den Gesamtzusammenhang gestellt werden.
Abschließend lässt sich zusammenfassen:
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Frühkindliche Bildungs- und Betreuungsmaßnahmen müssen, selbst wenn sie bereits in vielen Ländern ein sehr gutes Niveau erreicht haben, noch weiter ausgebaut werden. Dieser Ausbau muss sowohl Umfang als auch Qualität betreffen.
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Zukünftige Maßnahmen der Europäischen Union für die Entwicklung von Angeboten der frühkindlichen Bildung und Betreuung sollten einen ganzheitlichen Ansatz haben, der dem Bedürfnis Rechnung trägt, dass eine Reihe ineinander greifender Initiativen umgesetzt werden müssen.
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Die Europäische Kommission sollte frühere Arbeiten über Qualitätsziele bei Angeboten der frühkindlichen Bildung und Entwicklung überprüfen und überlegen, wie diese aktualisiert und genutzt werden könnten.
Quelle: didacta
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